Dienstag, 15. September 2020

Neuer Kreditrisikostandardansatz

Erreichung der Zielgeraden?

Oliver Döringer, Senior-Risikocontroller, Abteilung Risikocontrolling, Greensill Bank AG

 

Mit der Veröffentlichung der finalen Regelungen zum neuen Kreditrisikostandardansatz durch den Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee on Banking Supervision, BCBS) im Dezember 2019 wurde die etwa dreijährige Konsultationsphase beendet und – vorbehaltlich der Überführung in EU-Recht – ein verbindlicher Rahmen für die sich anschließende Umsetzungsphase auf Seiten beaufsichtigter Finanzunternehmen geschaffen. Mit der ursprünglich geplanten Einführung zum 01.01.2022 hätten sich nunmehr alle Institute kurz vor Erreichen der Zielgeraden mit einer ganzheitlichen, inhaltlichen Auseinandersetzung und Bewertung der Änderungen befunden. Wenn Sie mir nunmehr entgegenhalten, dass sich Rahmenbedingungen seit der Veröffentlichung des Rahmenwerkes grundlegend geändert haben und ein Festhalten an der bisherigen Planung keineswegs sicher scheint, werde ich Ihnen nicht widersprechen. Diesem Umstand trägt der Baseler Ausschuss mit der im Juni 2020 beschlossenen Verschiebung des Einführungstermins für das Basel III-Regelwerk auf den 01.01.2023 bereits Rechnung – weitere Anpassungen nicht ausgeschlossen. Erreichen wir also bereits die Zielgerade? Und sollten wir uns dennoch mit den neuen Regeln bereits auseinandersetzen? Ich meine ja. Lassen Sie es mich kurz erklären.

 

SEMINARTIPPS

Neuer Kreditrisikostandardansatz (KSA) unter Basel IV, 28.10.2020, Frankfurt/M.

OpRisk: Neue MaRisk-Vorgaben & Neuer Standardansatz, 30.11.2020, Frankfurt/M.

Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch die Interne Revision, 02.12.2020, Frankfurt/M.

Projektbegleitung & Projektprüfung durch die Interne Revision, 03.12.2020, Frankfurt/M.

Nachhaltigkeit: MaRisk-Umsetzung • Steuerung & Prüfung von ESG-Risiken, 07.12.2020, Frankfurt/M.

 

Überblick über die Neuerungen

 

Mit den Neuerungen nähert sich das aufsichtliche Regelwerk zunehmend ökonomischen Risikobetrachtungen an. Insbesondere rund um Immobilienfinanzierungen ist das mit der Differenzierung vorhandener bzw. Einführung neuer Forderungsklassen für Immobilienprojekte, der Einführung einer Loan-to-Value-Abhängigkeit (LTV) zur Bestimmung von Risikogewichten sowie weiterer qualitativer Vorgaben zu beobachten. Daneben werden projektartige, in sich geschlossene Finanzierungsstrukturen ebenfalls in einer neuen Forderungsklasse für Spezialfinanzierungen gebündelt und erhalten üblicherweise höhere Risikogewichte als in der Forderungsklasse für Unternehmensfinanzierungen. Für die Forderungsklasse Beteiligungen steigen Risikogewichte mitunter ebenfalls signifikant an.

 

Der im Rahmen der Konsultation diskutierte Entfall der Nutzung externer Ratings für die Risikogewichtsbestimmung in den Forderungsklassen Banken und Unternehmen wurde zunächst zwar verworfen und in nationale Ermessensspielräume verlagert, jedoch im Falle der Beibehaltung entsprechender Regelungen durch qualitative Vorgaben zur Umsetzung bzw. zwecks Nachweis einer kritischen Auseinandersetzung mit derartigen Bonitätseinstufungen (Due-Dilligence-Prüfung) aufgegriffen. 

Weitere Vorgaben zur Granularität im Retailportfolio, zu geänderten Kreditkonversionsfaktoren bei offenen Zusagen aus der erstmaligen Validierung sowie zur Anwendung von Haircuts bei Sicherheiten ergänzen die o. g. Ausführungen.

 

Aufgrund eines neu definierten Output-Floors entfalten sämtliche Regelungen nunmehr auch für diejenigen Häuser, die bisher in der Säule I einen auf internen Ratings basierenden Ansatz (IRB) zur Ermittlung der RWA nutzen, Wirkung. Auch diese Institute haben künftig unter Anwendung einer Übergangsfrist auf Basis parallel anzuwendender Regeln des KSA einen Grenzwert zu ermitteln, der im Rahmen der RWA-Ermittlung im IRB nicht unterschritten werden darf.

 

Mit den neuen Regeln soll die Risikosensitivität des bisherigen KSA optimiert werden und eine angemessenere Abbildung von Risiken insgesamt erreicht werden. Auch wenn die Änderungen so kalibriert wurden, dass die Kapitalanforderungen aus der Anwendung dieser Regeln des neuen KSA im Mittel nicht ansteigen, kann es dennoch für einzelne Institute zu signifikant steigenden risikogewichteten Aktiva kommen. Dieses hängt u. a. von der jeweiligen Portfoliostruktur ab.

 

Verlängerte Übergangsfristen durch COVID-19?

 

Mit dem Auftreten von COVID-19 haben sich die Rahmenbedingungen nochmals deutlich verändert. Der Einführungstermin für das neue Regelwerk wurde bereits um ein Jahr auf den 01.01.2023 verschoben. Da sich entsprechende Gesetzesentwürfe zur Überführung in EU-Recht bislang noch nicht abzuzeichnen scheinen, liegt eine weitere, nochmalige zeitliche Verschiebung des Starttermins im Bereich des Möglichen. Dennoch bietet diese Krise aus meiner Sicht zusätzliche Aspekte zur möglichst frühzeitig erforderlichen Auseinandersetzung mit der institutsindividuellen Betroffenheit. 

 

Das hängt einerseits mit dem aktuellen Einführungstermin sowie der möglichen „Inkubationszeit“ der Auswirkungen von COVID-19 zusammen. Diese Krise dürfte Spuren in der Unternehmensbewertung nebst Ausfallwahrscheinlichkeiten sowie der Bewertung von Sicherheiten, z. B. Immobilien und damit auch im LTV-Niveau, hinterlassen. Beides läuft erfahrungsgemäß zeitlich nach, weshalb die Verschiebung des Einführungstermins des neuen KSA keinen uneingeschränkten Vorteil darstellt und für ein falsches Sicherheitsempfinden bzgl. möglicher Auswirkungen sorgen könnte. Eventuelle Wechselwirkungen des neuen RTF-Leitfadens aus der Verzahnung von Säule I und Säule II könnten in der normativen Sicht im Falle hoher Ausfälle und/oder niedriger LTVs zum Basel III-Einführungszeitpunkt schnell aufsichtliche Ansprüche erzeugen. Zudem benötigt die Umsetzung der neuen KSA-Vorgaben entsprechende Arbeits- und/oder Datenprozesse, weshalb hier ein zeitlicher Vorlauf in der Umsetzung einzuplanen wäre. 

 

Beide Sachverhalte gelten in besonderem Maße in ihrer Wirkung auf Eigenmittel und Umsetzungserfolg neben den bisher bereits häufig erwähnten Ansprüchen hinsichtlich strategischer Transparenz über die Auswirkungen des neuen KSA, einer klaren Priorisierung von Aufgaben und Steuerung von Ressourcen zur Umsetzung sowie möglichst frühzeitiger und bewusster Berücksichtigung im Pricing. Insgesamt befinden wir uns aus meiner Sicht trotz des späteren Einführungstermins somit kurz vor Erreichung der Zielgeraden in der Umsetzung der Regeln aus dem neuen KSA. Der Start einer Auseinandersetzung mit den neuen Regeln wäre demnach obligatorisch, um etwaige Risiken in der Umsetzung und Überraschungen hinsichtlich des eigenen Geschäftsmodells zu vermeiden. 



 

PRAXISTIPPS

  • Schaffung von Transparenz über die Auswirkungen durch einfache, adressatengerechte Praxisbeispiele erhöht das Risikobewusstsein.
  • Auswirkungen von COVID-19 zum aktuellen Einführungszeitpunkt bewerten.
  • Zeitlichen Vorlauf von Prozessen und Datenbeschaffung einkalkulieren.
  • Möglichst frühzeitige Konkretisierung relevanter Änderungen schafft Klarheit in der Priorisierung und entzerrt in der Umsetzung. 
  • Möglichst frühzeitige Berücksichtigung der neuen Anforderungen im Pricing sicherstellen.

 

 


Beitragsnummer: 10666

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