Mittwoch, 12. Mai 2021

Leitfaden für Banken zu notleidenden Krediten ("NPL")

Thomas Wuschek, Rechtsanwalt, MBA, SanExpert-Rechtsanwalt

 

I. Einleitung

 

Die EZB hat das Regelwerk „Guidance on Non-Performing Loans“ herausgebracht. Die Adressaten des Leitfadens sind zunächst allein die von der EZB unmittelbar beaufsichtigten Banken (S. 6 f.). Dabei handelt es sich nicht um eine Anweisung, sondern „nur“ um eine Empfehlung der europäischen Bankenaufsicht für diese Banken. Beides spielt allerdings für die Umsetzung des Leitfadens für Banken keine Rolle, obwohl der Leitfaden in der aktuellen Fassung unverbindlich sei (S. 7). Der Leitfaden bringt zum einen klar zum Ausdruck, dass die „Nichterfüllung seiner Bestimmung […] zu aufsichtlichen Maßnahmen führen“ könne (S. 7) und Abweichungen auf Verlangen der Aufsichtsbehörden „nachvollziehbar“ zu erklären und „fundiert“ zu begründen seien (S. 7). Andererseits ist es kaum vorstellbar, dass der Leitfaden von den nicht von der EZB unmittelbar beaufsichtigten Kreditinstituten unberücksichtigt gelassen werden könnte. Vielmehr ist zu erwarten, dass man sich dieser aufsichtsrechtlichen Orientierungsvorgaben generell bedienen wird. Von den Banken werde erwartet, dass sie den Leitfaden nach dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und mit der gebotenen Dringlichkeit anwenden“ abhängig von der Größe ihrer Probleme mit notleidenden Krediten (S. 6 des Leitfadens). Aus diesen Gründen sollten die Banken die Grundstrukturen und die Handlungsanweisungen des Leitfadens für notleidende Kredite kennen. 

 

II. Struktur des Leitfadens

 

Die Systematik des Leitfadens orientiert sich an dem „zeitlichen Ablauf der NPL-Steuerung“ (S. 7). Insgesamt umfasst er sieben Kapitel und acht Anhänge. Die EZB unterstreicht dabei die Bedeutung der dort genannten Handlungsempfehlungen bzw. -vorgaben ebenso wie die von ihr für notwendig erachteten Detailregelungen. In der Einleitung befasst sich der Leitfaden mit dem Hintergrund des Regelwerks und seinem Anwendungsbereich. 

Der Anwendungsbereich sind alle „notleidenden Risikopositionen (Non-performing Exposures – NPE)“ nach der Definition der EBA (European Banking Authority) und „die in Besitz genommenen Vermögenswerte (Foreclosed Assets“), S. 8 des Leitfadens. In Kapitel 2 stellt die EZB eine „NPL-Strategie“ (S. 8–19) vor und die Koordinations- und Überwachungsmechanismen bilden zusammen mit der Ablauforganisation das Kapitel 3 („Governance und Ablauforganisation für NPL“, S. 20–43). Es folgt das für die Bearbeitung notleidender Engagements wichtige Kapitel 4 („Forbearance, S. 44–52) über Maßnahmen und Instrumente bei „Stundungen“. Das Kapitel 5 („Bilanzielle Erfassung von NPL“, S. 53–73) geht auf die bilanzielle Behandlung der NPL ein. Das setzt sich mit dem Kapitel 6 („Bewertung von Wertminderungen und Abschreibungen bei NPL“, S. 74–97) fort, in welchem das erforderliche Procedere aus der Sicht der EZB dargestellt wird.  

Die durch Immobilien besicherten Finanzierungen und die daraus ggf. folgenden Risiken werden in Kapitel 7 („Bewertung von Immobiliensicherheiten“, S. 98–110) dargestellt. Die Anhänge 1–8 (S. 111–146) umfassen ein „Glossar“ mit den Definitionen der verwendeten Begrifflichkeiten (Anh. 1), ein Beispiel für die „Kriterien der NPL-Segmentierung im Retailgeschäft“ (Anh. 2), eine „Benchmark für Messgrößen zur NPL-Überwachung“ (Anh. 3), „Beispiele für Frühwarnindikatoren (FWI)“ (Anh. 4), das Postulat „Einheitliche[r] NPL-Richtlinien“ Anh. 5), eine „Kapitaldienstfähigkeitsprüfung für Kreditnehmer im Retail- und im Firmenkundengeschäft“ (Anh. 6), eine „Zusammenfassung der aufsichtlichen Meldungen und Angabepflichten zu NPL“ (Anh. 7) und den Anhang 8 zur „Übertragung von NPL-Risiken“. 

III. Maßgebende Regelungen im Einzelnen

 

Aus dem Blickwinkel der Unternehmenssanierung bzw. der Kreditabwicklung sind insbesondere nachfolgende Aspekte des Leitfadens zu beachten. 

In Kapitel 4 („Forbearance“) werden insbesondere die Ziele der „Forbearance-Maßnahmen“ (Abschnitt 4.1) erläutert, die insbesondere darin liegen, den Kreditnehmer aus dem Zustand „notleidend“ zu befreien, andere dort nicht hineingeraten zu lassen und den Schuldner langfristig in die Lage zu versetzen, seine Schulden zu bezahlen. Das Instrumentarium ist eine „tragfähige“ Forbearance-Lösung nach geeigneter Analyse und Früherkennung (Leitfaden, S. 44). 

Der Leitfaden unterscheidet zwischen kurzfristigen Konzepten bis zu zwei Jahren (Projektfinanzierungen und Gewerbeimmobilien höchstens ein Jahr), die als vorübergehende Umstrukturierung der zugesagten Konditionen gesehen werden. Voraussetzungen dafür sind die Identifizierung des Problems des Kreditnehmers und dessen Kooperationsbereitschaft. In dem Konzept soll eine Besserungsklausel bei Verbesserung der ökonomischen Lage des Kreditnehmers enthalten sein (S. 45). Die langfristigen Konzepte müssen von realistischen Erwartungen ausgehen, die der Kreditnehmer letztendlich auch erfüllen kann. 


Der Leitfaden enthält zudem eine „Liste der gängigsten Forbearance-Maßnahmen“ (S. 47–49). Die Maßnahmen in 14 Ziffern reichen von „1. Tilgungsaussetzung“ über „2. Tilgungsreduzierung“, „3. Zahlungsaufschub/Moratorium“, „4. Kapitalisierung von Zahlungsrückständen/Zinsen“, „5. Zinssenkung“, „6. Laufzeitverlängerung“, „7. Zusätzliche Sicherheiten“ „8. Freihändiger/unterstützter Verkauf“, „10. Währungsumrechnung“ (bei Fremdwährungsrisiken!), Verzichte auf Covenants (11.), „12. Neue Kreditlinien“ bis zum Schuldenerlass „14. Teilweiser oder vollständiger Schuldenerlass“. Dies sind in der Kreditpraxis geläufige Maßnahmen, um einen Kreditnehmer zu „sanieren“, die nunmehr zusätzlich aufsichtsrechtlich hervorgehoben werden. 

Der Unterabschnitt 4.3 befasst sich mit „soliden Forbearance-Prozessen“, die u. a. eine Kapitaldienstfähigkeitsprüfung vorsehen. Der Leitfaden stellt klar heraus, dass „keine Forbearance ohne Kapitaldienstfähigkeitsprüfung des Kreditnehmers, erfolgen darf. In dem „Forbearance-Vertrag“ mit dem Kunden sind die Meilensteine mit Zwischenzielen auf der Basis konservativer Annahmen aufzunehmen und „jedwede potenzielle Verschlechterung der Finanzlage des Kreditnehmers zu berücksichtigen“. Die Details der Kapitaldienstfähigkeitsprüfung sind vorgegeben, alle Daten zu Einkünften und Ausgaben sind konservativ zu ermitteln. Auf Formulare dafür wird verwiesen, solche der Central Bank of Cyprus und der Central Bank of Ireland werden ausdrücklich erwähnt (S. 51). 

In diesem Kapitel sind Passagen enthalten, die nur auf natürliche Personen anwendbar sind, wie z. B. bei der Kapitaldienstprüfung (S. 51) von regelmäßigen bzw. wiederkehrenden Einkünften des Kreditnehmers oder dem Ansatz von „angemessenen Lebenshaltungskosten“. Aus den Unterkapiteln 3.5.3 über die Effizienz und die Effektivität von Forbearance-Maßnahmen (S. 35 ff.) und dem Unterkapitel 3.5.4 „Abwicklungsmaßnahmen“ (S. 38 f.) geht aber hervor, dass auch juristische Personen und Personengesellschaften gemeint sind. 

Auch auf die Sicherheitenverwertung, deren Zeiträume bis hin zu „Zwangsversteigerungsabschläge(n)“ und dem Debt Equity Swap geht der Leitfaden (S. 38 f.), ebenso wie zu den „Foreclosed Assets“ (S. 39 f.) (das sind von der Bank in Besitz genommene und in ihre Bilanz übernommene Vermögensgegenstände des Schuldners – S. 113), ein.


Beitragsnummer: 18205

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