Dienstag, 4. April 2023

Das „klassische“ Kapitalmarktstrafrecht“

Der Kapitalanlagebetrug gem. § 264a StGB

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

Liebe Leserinnen und Leser des BP, ich habe Ihnen in BP 04/2023 angekündigt, mit diesem Heft meine Berichte über Strafverfahren zu beginnen, die das Kapitalmarktstrafrecht betreffen. Lassen Sie mich aber – wegen der „Aktualität“ und dem engen Bezug zu meinen einleitenden Beiträgen in BP 02/2022 und BP 03/2022, mit denen ich Sie in die Risiken des Untreue-Strafrechts (§ 266 StGB) am Beispiel von Geschäftsleitern von Banken eingeführt habe – vorab von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH vom 25.01.2023 – 6 StR 383/22) berichten. 

Mit dieser Entscheidung hat der 6. Strafsenat die Entscheidung der Wirtschaftsstrafkammer des Langgerichts Hof vom 15.05.2022 (5 KLs 130 Js 8114/19) bestätigt, mit der ein Mitglied des Vorstandes einer Raiffeisenbank wegen 31 Fällen der Untreue zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt wurde. Bei einem Schädigungsvolumen von über 2 Mio. € und der Folge des Verlustes der Eigenständigkeit der ländlichen Bank (die daraufhin fusionieren musste) sowie typischer Begleitdelikte (wie die Fälschung der Unterschrift eines Kollegen auf einem seiner Bank eingereichten Scheck (Urkundenfälschung, § 267 StGB) und „Schönung“ der Bank-Bilanz (Unrichtige Darstellung, §§ 331 Abs. 1 Nr. 1, 340m Abs. 1 S. 1 HGB)) wird das die Leser meiner Hinweise auf Ermittlungs- und Anklageumfang kaum erstaunen. Dass der Täter nach Tatentdeckung Monate in Untersuchungshaft verbringen musste, was ebenso bei der Festsetzung des Strafmaßes Berücksichtigung fand, wie sein frühes Geständnis, und dass sein Wohnhaus zur Schadensreduzierung versteigert wurde, entspricht meinen Ausführungen zu erwartbaren (Rechts)Folgen (BP 04/2022). 

Selbstverständlich sind für Sie, liebe Leser, auch die zentralen rechtlichen Ausführungen zur Vermögensbetreuungspflicht eines Vorstandsmitgliedes einer juristischen Person durch die ständige Rechtsprechung („eine inhaltlich besonders herausgehobene, nicht nur beiläufige Pflicht zur Wahrnehmung von dessen Vermögensinteressen innehat, die über die für jedermann geltenden Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten und die allgemeine Pflicht, auf die Vermögensinteressen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, hinausgeht“, wobei „hinzukommen muss, dass dem Täter Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen bleibt und ihm eine gewisse Selbstständigkeit belassen wird“) von Bedeutung. Berichtenswert ist dieser Fall allerdings nicht nur zur Bestätigung bereits Gesagtem – interessant ist die Verurteilung wegen Untreue auch, soweit dem Vorstand schlichte Entnahmen aus der Kasse/dem Tresor vorgeworfen wurden. So hatte ich doch zur Untreue ausgeführt, dass Täter des § 266 StGB nur sein kann, wer „eine inhaltlich besonders herausgehobene, nicht nur beiläufige Pflicht zur Wahrnehmung von fremden Vermögensinteressen innehat, die über die für jedermann geltenden Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten und die allgemeine Pflicht, auf die Vermögensinteressen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, hinausgeht“. Der Geld-Bote einer Bank, der pflichtwidrig einen gefährlichen Weg zum Transport der Geldtasche wählt (die deshalb abhandenkommt) ist aus diesem Grund ebenso wenig Untreue-Täter wie der „Schalter-Beamte“ alten Stils, dessen Aufgabe sich im Einnehmen und Ausgeben von Bargeld erschöpfte. Diesen Bank-Mitarbeitern ist keine Entscheidungsmacht über eine Vermögensgestaltung für ihre Bank eingeräumt; schlichte Schädigungsmöglichkeiten, auch wenn diese sich aus ihrem Vertragsverhältnis ergeben, reichen nicht

Vorliegend hat der BGH hervorgehoben, dass der „innere Zusammenhang zwischen der Vermögensbetreuungspflicht und ihrer Verletzung“ jedenfalls bei Vorstandsmitgliedern juristischer Personen, denen stets eine umfassende Schutzpflicht für deren gesamtes Vermögen obliegt (wozu insbesondere ja auch die Implementierung, Durchführungsüberwachung und Aktualisierung eines Compliance-Systems gehört), stets gegeben ist.

Ich bin gespannt, liebe Leserinnen und Leser, ob Sie mit derartigen „Einschüben aktueller Fälle“ im Hinblick auf bereits diskutierte Strafrechtsbereiche für Bank-Verantwortliche einverstanden sind, auch wenn hierdurch der Fluss des gegenwärtigen Themas unterbrochen wird. Nun aber zurück zum Kapitalanlagebetrug gem. § 264a StGB. Zu dieser Strafnorm habe ich im vorangegangenen Heft des BP ausgeführt, Sie finde „sowohl für Handel mit Kapitalanlagen auf dem „überwachten“ als auch auf dem „grauenKapitalmarkt Anwendung“. Dennoch fällt die Aufklärung eines Tatverdachts nicht in den Aufgabenbereich der (nationalen/supranationalen) „Marktüberwachungsbehörde“ (BaFin/ESMA), sondern ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Strafverfolgungsbehörden, mithin den der Staatsanwaltschaft. Daher sind die Mitarbeiter der Marktaufsichtsbehörde verpflichtet, diese zu informieren, sobald sie im Rahmen ihrer Tätigkeit Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat erkennen. Damit soll die Staatsanwaltschaft in die Lage versetzt werden, selbst zu prüfen, ob ein strafrechtlicher Anfangsverdacht besteht, der sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zwingt.

Vor allem für Organisationsverantwortliche und Mitarbeiter im Vertrieb von Banken ist bedeutsam, dass § 264a StGB im Vergleich zum bereits vorgestellten Betrug nach § 263 StGB die Strafbarkeit weit nach vorne verlegt: Betrug setzt den Erfolg einer Täuschungs-Handlung in einer (darauf beruhenden) Entscheidung des Getäuschten und einen daraus folgenden (konkret wirtschaftlich zu berechnenden) (Vermögens-)Schaden voraus. Bei fehlendem Erfolg ist der Versuch strafbar. Für den Kapitalanlagebetrug reicht bereits eine schlichte Handlung (Tun/Unterlassen): Die unrichtige vorteilhafte Angabe oder das Verschweigen einer nachteiligen Tatsache, weshalb diese Handlung durch folgende Merkmale auf den Schutzbereich „Kapitalmarkt“ begrenzt:

  • Diese Handlung muss im Vertrieb, also der Werbung oder sonstiger Absatzbemühungen bestimmter Güter erfolgt sein, die den geschützten Markt beschreiben.
  • Dieser Vertrieb wird durch konkrete Werbemittel beschrieben: Prospekte (alle schriftlichen Angaben, die den Eindruck vermitteln oder dies mindestens intendieren sollen, sie seien für die Anlageentscheidung erheblich) und (auch mündliche) Darstellungen und Übersichten über den Vermögensstand.
  • Wie für Prospekte schon begrifflich naheliegend sind nur solche Werbemittel strafbewehrt, die sich (mindestens potentiell) an einen größeren Kreis von Personen richten.
  • Die den geschützten Markt beschreibenden Kapitalmarktangebote sind konkret genannt: Wertpapiere, Bezugsrechte oder Anteile, die eine Unternehmens-Ergebnis-Beteiligung gewähren sollen, hierauf bezogene Erhöhungsangebote Abs. 1 Nr. 2) oder Anteile an Treuhandsvermögen (Abs. 2).
  • Die Handlungen selbst sind weiter eingegrenzt: Strafbar sind nur unwahre, also unrichtige Werbebehauptungen, die einen Vorteil suggerieren (bzw. beim Unterlassen) einen Nachteil verschweigen.
  • Zentrales Eingrenzungselement dieses – damit sehr weitreichenden – Tatbestandes ist schließlich die bereits erwähnte „Erheblichkeit der getätigten oder unterlassenen Werbebehauptung. Diese (oder ihr Verschweigen) muss – bezogen auf das konkrete Angebotgeeignet sein, einen durchschnittlichen (also verständigen/vorsichtigen) Anleger als Werbeadressat in seiner Anlageentscheidung zu bestimmen

Die Tathandlungen sind nur bei Vorsatz strafbar. Als Leser meiner Klumnen wissen Sie, dass es die Strafrechtsprechung dafür schon ausreichen lässt, dass der Täter das Vorliegen der genannten Elemente ernsthaft für möglich hält und sich damit abfindet (also das Risiko ihres Vorliegens in Kauf nimmt – Eventualvorsatz; bedingter Vorsatz). 

Strafbar ist diese Werbung dann, wenn sie dem größeren Personenkreis zugänglich gemacht worden ist, also schon dann, wenn das Werbematerial an öffentlich zugänglichen Orten ausgelegt ist, nicht-individuell gewählte Telefonpartner angerufen oder Adressaten angeschrieben/angemailt werden u. ä. Das Strafmaß beträgt bis zu 3 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Der Versuch ist nicht strafbar. 

Bei all dieser Weite der Strafbarkeit der genannten Werbehandlungen für die „Kapitalanlage-Vertriebler“ bleibt als tröstlicher Ausblick die Möglichkeit der „tätigen Reue“, die nach Abs. 3 nicht nur Strafmilderung, sondern Straffreiheit verspricht. Für beide Alternativen gilt, dass der Werbeerfolg (die Leistung des umworbenen Anlegers) nicht eingetreten sein darf. Ursache dafür muss entweder eine Verhinderungsleistung des Täters oder dessen freiwilliges und ernsthaftes (freilich fehlgeschlagenes) Bemühen, den Eintritt des Vertriebserfolges zu verhindern.

Ich freue mich darauf, Ihnen im nächsten BankPraktiker dazu ein anschauliches Beispiel für Ihre Praxis zu schildern.  


Beitragsnummer: 22093

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06.04.2023

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