Donnerstag, 17. August 2023

Keine richtlinienkonforme Auslegung von § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart


In seinem Urteil vom 04.07.2023, XI ZR 77/22 (WM 2023, 1463) entscheidet der Bundesgerichtshof, dass § 357 Abs. 1 S. 1 BGB in der bis zum 12.06.2014 geltenden Fassung nicht europarechtskonform ausgelegt und teleologisch dahingehend reduziert werden kann, dass dem Verbraucher aus einem nach erklärtem Widerruf rückabzuwickelnden und im Fernabsatz geschlossenen Darlehensvertrag kein Anspruch aus § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB auf Nutzungsersatz hinsichtlich der von ihm erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen zusteht. 

Dabei hält der Bundesgerichtshof zunächst fest, dass die Entscheidung darüber, ob im Rahmen des nationalen Rechts ein Spielraum für eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung besteht, ausschließlich dem nationalen Gericht obliegt (Rn. 20). Sodann führt der Bundesgerichtshof aus, dass eine richtlinienkonforme Auslegung nur dann in Frage kommt, wenn eine Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulässt, was der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung entspricht. Der Grundsatz unionskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung dürfe jedoch nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem führen. Vielmehr findet die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege ihre Grenze an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten (Rn. 20).

Hiervon ausgehend hält der Bundesgerichtshof fest, dass es bei § 357 Abs. 1 BGB a.F. an einer verdeckten Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes fehlen würde und dass die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die Geltung des neuen Rechts auf die Zukunft zu beschränken, vom Bundesgerichtshof weder ausgehebelt noch revidiert werden könne/dürfte (Rn. 21). Dem Bundesgerichtshof sei es insofern untersagt, § 357 Abs. 1 BGB a.F. entgegen der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers teleologisch dahingehend zu reduzieren, dem Verbraucher keinen Nutzungsersatz auf erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen zu gewähren (Rn. 22). Hieran vermöge auch die EuGH-Entscheidung vom 04.06.2020 nichts zu ändern. Denn der Bundesgerichtshof könne ungeachtet dieser Entscheidung § 357 Abs. 1 BGB a.F. nicht entgegen dem ausdrücklichen Willen des nationalen Gesetzgebers für im Fernabsatz geschlossene Verbraucherdarlehensverträge teleologisch reduzieren, was auch der EuGH so sehen würde, indem er bekräftigt, dass die Verpflichtung zur unionskonformen Auslegung nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts führen dürfe (Rn. 23 f.).


Praxistipp:

Auch wenn die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Wertungswidersprüchen bei Alt- und Neufällen führt, ist dem Bundesgerichtshof insoweit Recht zu geben, als eine europarechtskonforme Auslegung des § 357 Abs. 1 S. 1 BGB entgegen dessen Wortlaut sowie entgegen dem gesetzgeberischen Willen selbst dann nicht in Betracht kommt, wenn der EuGH eine solche Auslegung in Gerichtsurteilen befürwortet. Denn maßgeblich dafür, ob eine europarechtskonforme Auslegung in Betracht kommt, ist allein das nationale Gericht, weswegen diese Entscheidung allein dem Bundesgerichtshof obliegt und gerade nicht dem EuGH.


Beitragsnummer: 22256

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