Montag, 4. Dezember 2023

Kennzahlen als Indikatoren für eine sich verschärfende Krisensituation

„Euler Hermes“ hat in einer umfangreichen Studie kritische Kennzahlen als Indikatoren für Unternehmenskrisen identifiziert. Nutzen Sie diese auch im Tagesgeschäft.

Anne Nickert, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht, Partner der Nickert & Nickert Rechtsanwälte & Steuerberater PartG mbB in Offenburg, Verwaltungsrätin der Sparkasse Offenburg/Ortenau, Aufsichtsrätin;
Cornelius Nickert, Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, CVA (Certified Valuation Analyst, EACVA), Partner der Nickert & Nickert Rechtsanwälte & Steuerberater PartG mbB in Offenburg.
 


 
„Euler Hermes Test“ zur Krisenfrüherkennung

„Euler Hermes“ hat im Jahr 2019 eine Studie und daraus folgend den „Euler Hermes Test“ vorgestellt, der anhand von drei Kennzahlen bis zu vier Jahre im Voraus die sich abzeichnende Insolvenz erkennen kann. Es liegt auf der Hand, dass Banken & Sparkassen dieses Wissen nicht nur bei der laufenden Überwachung der Adressausfallrisiken im Blick behalten, sondern auch bei der Vorbereitung von weiteren Kreditentscheidungen.


 Ausgangslage

Analysen auf Grundlage von Kennzahlen sind einfach durchzuführen. Es bedarf keiner Planung oder Prognose der Unternehmenszukunft. Aus diesem Grund sind solche Analysen einfach und daher oft anzutreffen.


 Begrenzungen der Früherkennung durch Kennzahlen

Genau dies aber birgt Risiken: Zum einen basieren die Kennzahlen auf historischen Daten. Das heißt, sie sind vergangenheitsorientiert und gerade nicht in die Zukunft gerichtet. Historische Kennzahlen müssen daher den Test der sogenannten Zeitstabilitätshypothese bestehen. Es muss also dokumentierbar sein, dass die Vergangenheit repräsentativ für die Zukunft ist. 

Ferner sind solche Kennzahlenlösungen abhängig vom zugrundeliegenden Datenmaterial, sprich von der Qualität des Rechnungswesens. Dieses ist gerade bei KMU meist nicht durch einen Abschlussprüfer geprüft. Auch hier gilt: „garbage in, garbage out“. Das heißt, es gilt sowohl die Qualität des Unternehmers als auch die Qualität des gegebenenfalls eingeschalteten Beraters abzuschätzen, bevor aufgrund dieser Zahlen eine Einschätzung erfolgt.  

 

Der „Euler Hermes Test“

Im Rahmen des „Euler Hermes Tests“ werden drei Kennzahlen ausgemacht, die eine hohe Signifikanz für die spätere Insolvenz aufweisen. Hierzu hat „Euler Hermes“ mehr als 250.000 kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ausgewertet und dabei insbesondere die letzten vier Jahre vor einer Insolvenz betrachtet. Kleine und mittelständische Unternehmen werden definiert als Unternehmen mit einem Umsatz ≤ 500 Millionen Euro pro Jahr. 1.653 davon gingen in die Insolvenz. 

Das Besondere: Der Umsatzeinbruch ist kein verlässlicher Indikator für die sich abzeichnende Insolvenz. Vielmehr sind in der folgenden Reihenfolge die Gesamtkapitalrentabilität (return on capital employed – ROCE), die Eigenkapitalquote (Kapitalisierung) und der Zinsdeckungsgrad (Zinsdeckungsquote, ZDQ) die besseren Schätzer. 

Für die Früherkennung macht „Euler Hermes“ folgende Schwellenwerte für deutsche Unternehmen aus:

  • ROCE (EBIT) / (net financial debt + equity) – 7 %
  • Eigenkapitalquote – 20,6 %
  • Zinsdeckungsquote (EBIT / Zinsaufwand) – 0,8

 

Das sagt der „Euler Hermes Test“ nicht

Wichtig ist, dass die Studie, jedenfalls in dem veröffentlichten Umfang, nicht aussagt, wie viel falsch positive (sagt Insolvenz voraus, die nicht eintritt) und wie viel falsch negative Treffer (sagt Insolvenz nicht voraus, die später dennoch eintritt) es gab. Damit ist die Aussagekraft zwar beachtlich, lässt aber insbesondere eine vollständige statistische Analyse nicht zu. 

Was die Kennzahlen auch nicht sagen, ist, wie weit entfernt von einer Insolvenz oder wie nah dran an der Insolvenz die Unternehmen sind. Zuletzt dürften diese Kennzahlen auch bei Start-ups von geringer Bedeutung sein. Hier sei auf die Möglichkeit der Abschätzung mit dem Bayes-Theorem hingewiesen, Nickert/Wieczorek DStR 2022, 791.

Dennoch ist es als Anhaltspunkt besser als ohne eine derartige Kennzahlenanalyse. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass mit diesen Kennzahlen synthetische Finanzratings approximiert werden können, sh. auch Gleißner KRP 2016, 5, ders. BewP 2011, 16f. 

 

Nehmen Sie folgende Anpassungen vor

Analysiert wurden Jahresabschlüsse aus den Jahren vor 2019. Das heißt, es handelt sich um Jahresabschlüsse aus den Zeiten nach der Finanzmarktkrise (Lehmann), aber vor der Kursänderung der Europäischen Zentralbank. Vor diesem Hintergrund wird man heute höhere Anforderungen zumindest an die Gesamtkapitalrentabilität stellen, eventuell auch an den Zinsdeckungsgrad. Dieser ist zwar eine relative Größe, jedoch sollte berücksichtigt werden, ob bei Unternehmen aktuell oder in naher Zukunft Zinsbindungen oder Darlehen auslaufen, die zu heute höheren Konditionen refinanziert werden müssen. Sollten von Ihnen beurteilte Unternehmen die Kennzahlen (oder auch einzelne Kennzahlen) reißen, ist eine fundierte Auseinandersetzung mit diesen unbedingt angezeigt. Denn nach dem Erkennen muss das zügige Handeln folgen.

 

PRAXISTIPPS:

  • Schätzen Sie die Qualität des Rechnungswesens ab.
  • Indikatoren: Qualität des Unternehmers und dessen Berater.
  • Ist die Vergangenheit (in etwa) repräsentativ für die Zukunft?
  • Ermitteln Sie in der nachfolgenden Reihe diese Kennzahlen:
    • ROCE
    • EK-Quote
    • ZDQ
  • Überprüfen Sie, ob auf Grundlage des veränderten Marktumfelds (Basiszins, Renditeanforderungen etc.) eine subjektive Anpassung vor allem des ROCE oder der ZDQ erforderlich ist.

Beitragsnummer: 22400

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