Sonntag, 21. Januar 2024

Kontoüberziehungen können Indiz für eine Zahlungseinstellung sein

Neben der tatsächlichen Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit steht nach § 130 Ziffer 3 Insolvenzordnung (InsO) „die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit … schließen lassen.” Gerade die Indizien können für ein Kreditinstitut gefährlich werden. Im vorliegenden BGH-Urteil vom 21.01.2016 (AZ: IX ZR 32/14) wurden Anfechtungsansprüche gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht, aber die hier vorliegende Konstellation lässt sich auch auf andere Situationen übertragen.


Ausgangssituation

Die Schuldnerin, die einen Motorradhandel betrieb, geriet im September 2007 mit ihrer Verpflichtung zur Zahlung fälliger Steuerforderungen gegenüber dem beklagten Land (nachfolgend: Beklagter) in Rückstand. Nach Ankündigung von Vollstreckungsmaßnahmen im November 2007 richtete sie ab Dezember 2007 wiederholt Schreiben an die Finanzverwaltung des Beklagten, in denen sie um Aussetzung der Vollstreckung fälliger Umsatzsteuerzahlungen, Stundung der Steuerforderungen und Einräumung von Ratenzahlungen bat.

Im Januar 2008 ließ der Beklagte mehrere Konten der Schuldnerin bei verschiedenen Kreditinstituten pfänden. Nach Aussetzung der Pfändung aufgrund einer Zahlung der Schuldnerin aus einer geduldeten Kontoüberziehung kam es zu weiteren Aussetzungs- und Stundungsbitten und nicht eingehaltenen Ratenzahlungszusagen. Am 05.05.2008 teilte die Schuldnerin dem Beklagten im Rahmen weiterer Verhandlungen über eine Stundung von Umsatzsteuerforderungen mit, dass ihre Hausbank es „kategorisch" ablehne, die eingeräumte Kreditlinie auszuweiten. Die Kreditlinie von 290.000 € werde schon seit Monaten von ihrer Hausbank geduldet überzogen.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Februar 2009 klagte der Insolvenzverwalter auf Erstattung der im Zeitraum vom Mai bis Dezember 2008 geleisteten Zahlungen an das Finanzamt.

 

Die Entscheidung

In seinem Leitsatz zum eingangs genannten Urteil stellt der BGH klar, dass eine Zahlungseinstellung des Schuldners und ein Benachteiligungsvorsatz sowie dessen Kenntnis unterstellt werden können, sofern der Schuldner nur noch aus der geduldeten Kontoüberziehung heraus operiert, weil das Kreditinstitut eine Ausweitung der ausgeschöpften Kreditlinie ablehnt.

Der BGH hat hier in Kürze alle für eine erfolgreiche Anfechtung erforderlichen Voraussetzungen (Rechtshandlung des Schuldners, Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit, Gläubigerbenachteiligungsabsicht sowie Kenntnis des beteiligten Partners von der Zahlungsunfähigkeit) bejaht:

  • Die bewirkten Zahlungen stellen (nach § 129 InsO Abs. 1) eine Rechtshandlung des Schuldners dar, die die Gläubiger objektiv benachteiligt hat, weil Gläubigermasse abgeflossen ist.
  • Zudem liegt hier ein Benachteiligungsvorsatz (gem. § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO) vor, die Schuldnerin hat die Zahlungen im Stadium der Zahlungsunfähigkeit erbracht. Im Zuge der Begründung weist der BGH (in Rn. 10) darauf hin, dass eine Benachteiligung bereits dann gegeben ist, „wenn der Schuldner ... die Benachteiligung der Gläubiger … – sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten anderen Vorteils – erkannt und gebilligt hat. Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz, weil er weiß, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen ...”. Positive, feste, belastbare Annahmen, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen zu realisieren und damit die Krise zu überwinden, lagen nicht vorDie generelle Aussichtslosigkeit der finanziellen Situation der Schuldnerin wurde nach Ansicht des BGH auch durch die Kündigung des BMW-Händlervertrages dokumentiert (Rn. 19).
  • Zudem hatten sich einige Beweisanzeichen, wie z. B. wiederholt dauerhaft schleppende oder nur unter Vollstreckungsdruck erfolgte Zahlungen, angesammelt, die eindeutig auf eine Zahlungseinstellung hinweisen können (Rn. 15).
  • Die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung (nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO) ist hier gegeben, da der Schuldner bzw. sein Berater schriftlich im Mai 2008 selbst darauf hingewiesen haben, dass seit längerer Zeit aus der Kontoüberziehung heraus disponiert wird. Und sich zudem das Kreditinstitut geweigert hat, die bestehende Kreditverbindung regulär auszuweiten.


Die praktische Lösung

Die aufmerksame Kundenberatung eines Kreditinstituts wird hoffentlich immer den Kunden fragen, um mögliche Erklärungen bei außergewöhnlichen Vorkommnissen oder aber allzu deutlichen Anomalien in der Kontoführung zu erhalten. Ebenso könnte die plötzlich entfallende Zusammenarbeit mit wichtigen Kunden oder Finanziers ein sehr deutliches Warnsignal sein, dem nachgegangen werden muss. Auch wenn in dem hier vorliegenden Fall der Beklagte das Finanzamt war, so lässt sich der Fall sinngemäß durchaus auch auf Kreditinstitute übertragen.

Ganz wichtig ist für die Praxis der Hinweis des BGH in Rn. 24: „Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof schon durch Urteil vom 28. Februar 2008 (IX ZR 213/06, ZInsO 2008, 374) entschieden, eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger liege auch dann vor, wenn das Kreditinstitut, das für den Schuldner ein überzogenes Konto führt, auf dessen Anweisung die einer Kontopfändung zugrunde liegende Forderung durch Überweisung an den Pfändungsgläubiger begleicht; in Höhe des überwiesenen Betrags komme ein Darlehensvertrag zustande.” Insbesondere der letzte Halbsatz ist zu beachten, da ja gerade bei Krisenunternehmen und Neukreditgewährungen besondere Maßstäbe anzulegen sind.

 

PRAXISTIPPS

  • Es ist sinnvoll, sich von seinen Kreditnehmern regelmäßig betriebswirtschaftliche Auswertungen (mit Summen-/Saldenlisten) geben zu lassen, um zumindest grob auch unterjährig die Kapitaldienstfähigkeit zu ermitteln.
  • Neigt die Kontoverbindung zu Überziehungen, sind die Gründe detailliert zu erfragen. Ist die rechnerische Kapitaldienstfähigkeit nicht gegeben, sollte eine automatische Disposition in Betracht gezogen werden.
  • In einer kritischen Situation sollten „lebensverlängernde Maßnahmen” des Kreditgebers ohne Sanierungsgutachten tunlichst unterbleiben. Gerade Überziehungen können ein hohes Risiko für das Kreditinstitut beinhalten.

Link um Urteil:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=477d30bab7750ccbb944ff3604e0ae0b&nr=73832&pos=0&anz=1


Hans-Jürgen Wieczorrek, Firmenkundenbetreuer Sanierung, Kreissparkasse Köln


Beitragsnummer: 22453

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