Mittwoch, 20. März 2024

BGH: Rolle rückwärts bei Widerruf von Allgemein-Verbraucherdarlehen

Tilman Hölldampf, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart


Die Rechtsprechungsgeschichte zum Widerruf von Allgemein-Verbraucherdarlehen war bereits zuvor bewegt. Nachdem der BGH zunächst den „Kaskadenverweis“ für wirksam erklärt (BGH, Urteil v. 22.11.20216 – XI ZR 434/15) und bei der Bewertung von zu erteilenden Pflichtangaben eine großzügige Linie angelegt hatte (etwa BGH, Urteil v. 05.11.2019 – XI ZR 650/18), hat der EuGH diese Rechtsprechung sowohl im Hinblick auf den „Kaskadenverweis“ (EuGH, Urteil v. 26.03.2020 – C-66/19) als auch im Hinblick auf mehrere Pflichtangaben (EuGH, Urteil v. 09.09.2021 – C-33/20 u. a.) erheblich verschärft. Der BGH war dem notgedrungen für in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48 fallende Darlehen gefolgt (vgl. BGH, Urteil v. 27.10.2020 – XI ZR 498/19 – zum „Kaskadenverweis“; BGH, Urteil v. 20.09.2022 – XI ZR 100/21 – zum Verzugszins).

Nun vollzieht der BGH in seinem Urteil v. 27.02.2024 – XI ZR 258/22 – eine neuerliche Kehrtwende. Ermöglicht hatte dies das Urteil des EuGH v. 21.12.2023 – C-38/21 u. a. Der BGH stellt zunächst nochmals klar, dass eine Widerrufsinformation, welche der Gesetzlichkeitsfiktion des nationalen Rechts gem. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB unterfällt, trotz Verstoßes gegen das Unionsrecht nicht als unwirksam ausgelegt werden kann. Dies würde dem klaren Willen des nationalen Gesetzgebers, welcher das Belehrungsmuster selbst vorgegeben hat, widersprechen, sodass eine richtlinienkonforme Auslegung gesperrt ist.

Sodann stellt der XI. Zivilsenat klar, dass dem aus dem Urteil des EuGH vom 09.09.2021 – C-33/20 u. a. – herrührenden Erfordernis, auf die Eigenschaft des Darlehensvertrags als verbundenen Vertrag hinzuweisen, ausreichend dadurch Rechnung getragen ist, dass der mit dem Darlehensvertrag verbundene Vertrag in der Widerrufsinformation genannt wird.

Bemerkenswert ist die Entscheidung im Hinblick auf die Angabe des Verzugszinssatzes nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB. Der BGH hält zwar nochmals fest, dass aus der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich das Erfordernis folgt, einen konkreten Prozentsatz anzugeben. Allerdings greift der XI des Senats an dieser Stelle das Urteil des EuGH vom 21.12.2023 – C-38/21 u. a. – auf, wo letzterer – sinngemäß – entschieden hat, dass die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit einer Pflichtangabe für das Anlaufen der Widerrufsfrist dann unerheblich ist, wenn es dieser Pflichtangabe an einer Eignung fehlt, die Entscheidung des Verbrauchers über die Ausübung des Widerrufsrechts zu beeinflussen. Das verneint der BGH für eine unvollständige Angabe zum Verzugszinssatz.

Im Hinblick auf die Angaben zur Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung (Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB) betont der BGH zunächst nochmals den Grundsatz, dass eine fehlerhafte Angabe nach dem Regelungskonzept des deutschen Gesetzgebers lediglich zu einem Anspruchsausschluss gemäß § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB führt, nicht hingegen zu einem fortdauernden Widerrufsrecht. Dies gelte auch in Ansehung der Rechtsprechung des EuGH, denn selbst wenn die erteilte Angabe einer Klauselkontrolle nach nationalem Recht nicht standhalte, laufe die Widerrufsfrist an, wenn der Verbraucher die Höhe der anfallenden Vorfälligkeitsentschädigung wie im vorliegenden Fall anhand der mitgeteilten Betragsgrenzen des § 502 Abs. 3 BGB bestimmen kann.

Soweit es die Angaben zum außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren gemäß Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB anbelangt, war nach dem Urteil des EuGH vom 09.09.2021 sowie das jüngere Urteil vom 21.12.2023 offengeblieben, was dem Verbraucher insbesondere im Hinblick auf die formalen Voraussetzungen eines solchen Verfahrens mitzuteilen ist. Der BGH hat nun klargestellt, dass der Hinweis darauf, dass die Beschwerde in Textform einzureichen ist, dann ausreicht, wenn ein in dieser Form eingereichter Antrag aufgrund der Beschwerdeordnung der Schlichtungsstelle nicht automatisch abgelehnt wird. Zudem hat der BGH klargestellt, dass es dann, wenn das Beschwerdeverfahren für den Verbraucher kostenlos ist, keines Hinweises hierauf bedarf, die Kostenlosigkeit mithin nicht gesondert zu erwähnen ist.


PRAXISTIPP

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist absolut begrüßenswert, fängt sie doch eine zu einem völlig ausufernden Widerrufsrecht führende Rechtsprechung des EuGH wieder ein. Denn unabhängig von der Frage der rechtlichen Begründung, erscheint es durch nichts gerechtfertigt und wohl auch kaum im „Sinne des Erfinders“, dem Darlehensnehmer wegen der Unvollständigkeit einer noch so unbedeutenden Pflichtangabe ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht einzuräumen. Dass ein Darlehensnehmer sich von einem finanzierten Fahrzeugerwerb noch nach vielen Jahren lösen konnte, nur weil ihm die Bank nicht mitgeteilt hat, welcher konkrete Verzugszinssatz sich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aus der im Vertrag enthaltenen Formel „b + 5“ ergibt, war unter logischen Gesichtspunkten kaum zu erklären.

Der XI. Zivilsenat hat nun die ihm durch den EuGH im Urteil vom 21.12.2023 eröffnete Gelegenheit, diese uferlose Rechtsprechung über ein „Relevanz-Kriterium“ einzugrenzen, mit seinem Urteil vom 27.02.2024 genutzt. Soweit daher in künftigen Rechtsstreiten Pflichtangaben betroffen sind, über welche der BGH in seinem Urteil nicht ohnehin bereits entschieden hat, wird von Institutsseite stets an den Einwand zu denken sein, dass eine von Verbraucherseite behauptete Unrichtigkeit einer Pflichtangabe dahinstehen kann, weil diese Unrichtigkeit nicht geeignet war, den Darlehensnehmer von der Ausübung des Widerrufsrechts abzuhalten. Eine solche fehlende Relevanz wird man stets dann bejahen können, wenn eine Pflichtangabe betroffen ist, die nicht den Kern der darlehensvertraglichen Vereinbarungen betrifft.


Beitragsnummer: 22554

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