Mittwoch, 20. März 2024

EuGH bestätigt Aktiv/Passiv-Methode

Tilman Hölldampf, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart


Nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 01.07.1997 – XI ZR 267/96 – können Banken die ihnen im Falle einer vorzeitigen Darlehensrückzahlung während laufender Zinsbindung zustehende Vorfälligkeitsentschädigung unter Heranziehung der Wiederanlagerendite von Hypothekenpfandbriefen berechnen, sog. Aktiv/Passiv-Methode. Diese Berechnungsweise hat, auch wenn die Verbraucherseite dies teilweise anders zu vermitteln versucht, nichts an ihrer Aktualität verloren. So hat der deutsche Gesetzgeber bei Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2014/17/EU klargestellt, dass eine Berechnung auf Basis der Aktiv/Passiv-Methode weiterhin zulässig ist (BT-Drucksache 18/5922, S. 116). Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 05.11.2019 – XI ZR 650/18 ebenfalls durchblicken lassen, dass er die Verwendung der nach seiner eigenen Rechtsprechung vorgegebenen Berechnungsmethoden weiterhin für zulässig erachtet.

Es hätte damit sein Bewenden haben können, aber wer die Rechtsprechung zum Verbraucherkreditrecht aufmerksam verfolgte, dürfte gleichwohl kaum überrascht gewesen sein, dass ein gewisses LG Ravensburg die Frage der Zulässigkeit der Verwendung der Aktiv/Passiv-Methode der dortigen Übung folgend zum Gegenstand einer EuGH-Vorlage gemacht hat. Darin sollte geklärt werden, ob die genannte Methode sich mit Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17 vereinbaren lässt, welcher regelt, dass die Mitgliedstaaten es vorsehen können, dass der Kreditgeber bei vorzeitiger Rückzahlung eine „angemessene und objektive“ Entschädigung für die mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Kosten verlangen kann.

Nachdem bereits der Generalanwalt zu der Einschätzung gekommen ist, dass die deutsche Aktiv/Passiv-Methode diesen Anforderungen gerecht wird, hat sich dem nunmehr auch der EuGH in seinem Urteil vom 14.03.2024 – C-536/22 – angeschlossen. Nach der Auffassung des Gerichtshofs können die Mitgliedstaaten ohne Widerspruch zu Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17 vorsehen, dass die dem Kreditgeber zustehende Entschädigung bei vorzeitiger Rückzahlung auch den entgangenen Gewinn umfasst. Dabei ist es den nationalen Gesetzgebern mangels aus der Richtlinie ersichtlichen Beschränkungen unbenommen, eine auf einer hypothetischen Wiederanlage in sichere Kapitalmarkttitel basierende Berechnung zuzulassen.


PRAXISTIPP

In erfreulicher Klarheit hat der EuGH den Versuchen, der „deutschen“ Aktiv/Passiv-Methode über den beliebt gewordenen „Umweg“ eines Vorabentscheidungsersuchens den Boden zu entziehen, einen Riegel vorgeschoben und die Frage der inhaltlichen Ausgestaltung der Vorfälligkeitsentschädigung dorthin verwiesen, wo sie hingehört: in die Hoheit der Mitgliedstaaten. Solange daher der deutsche Gesetzgeber an der Aktiv/Passiv-Methode festhält, ist es nicht Aufgabe der Gerichte, diese gesetzgeberische Entscheidung infrage zu stellen.

Nicht Stellung nehmen musste der Bundesgerichtshof zu der Frage, ob bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung negative Wiederanlagerenditen berücksichtigt werden dürfen. Diese Frage ist derzeit praxisrelevant, da Hypothekenpfandbriefe in der abgelaufenen extremen Niedrigzinsphase teilweise negativ verzinst waren. Richtigerweise spielt die Null-Linie für den Zins bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung indes keine Rolle, denn der Schaden, welcher der Bank bei vorzeitiger Rückzahlung entsteht, bemisst sich aus der Differenz zwischen dem vereinbarten Vertragszins und der Wiederanlagerendite, die zum Zeitpunkt der Rückzahlung mit Hypothekenpfandbriefen erzielt werden kann. Ob die Bank tatsächlich die zurückerhaltenen Mittel in Hypothekenpfandbriefe investiert hat, ist hingegen unerheblich, denn an dieser Stelle lässt die Aktiv/Passiv-Methode eine abstrakte Berechnung ausdrücklich zu, nachdem es Banken regelmäßig unmöglich ist, ihre Refinanzierung heruntergebrochen auf einzelne Darlehensverträge darzustellen. Dem von Verbraucherseite teilweise vorgebrachten Argument, Banken würden erhaltene Geldmittel nicht zu negativen Zinsen anlegen, ist neben der Unbeachtlichkeit dieser Behauptung im Rahmen der auf einer hypothetischen Wiederanlage basierenden Aktiv/Passiv-Methode zudem auch in Anbetracht des im selben Zeitraum unstreitig negativen EZB-Einlagenzins die Grundlage entzogen.

Bei konsequenter Anwendung schadensersatzrechtlicher Grundsätze ist daher weder ersichtlich, weswegen die Tatsache zwischenzeitlich negativer Wiederanlagesätze nicht berücksichtigungsfähig wäre, noch inwiefern der Bank durch die Berücksichtigung negativer Renditen ein schadensersatzrechtlich unzulässiger Vorteil entstünde.


Beitragsnummer: 22555

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